Bestiarium Literaricum

Von Ernst Häfner, 30. Juli 2024

Im Tiervergleich, einem der ältesten Tricks der Menschheit und zur Zeit vielleicht einzigen unschuldigen Utopie, verliert der Schreiber nichts als die Analogie mit dem Gott oder dem Teufel, der ihm übrigbleibt, wenn sein Weg zu den Anfängen von zu vielen geschichtlichen Deutungen unterminiert ist. Die herkömmliche Literaturwissenschaft lässt den Schreiber eher links liegen, als auf den Knalleffekt ihrer Zuweisungen zu verzichten - ein Verfahren, dessen eigentliche Sprachlosigkeit nur noch von seiner Rechthaberei übertroffen wird. 

Unser BESTIARIUM LITERARICUM ist hierzu alternativ gemeint. Auch siebzig Jahre nach Franz Blei scheint es uns keine vernünftigere Art zu geben, "etwas Wesentliches" über das Verhältnis der Schreiber zu den Dingen zu beschreiben. Die Poesie hat den Stand der Wissenschaften allenfalls bis zur Erfindung des Lügendetektors mit ihren Impulsen in Einklang zu bringen gewusst und heute anscheinend einen Punkt erreicht, wo es egal ist, zu fragen, ob sie ihrer Zukunft voraus - oder ihrer Vergangenheit hinterherhinkt. 

Den Punkt suchend, wo "Das Tier aus dem Text fällt", habe ich, diesen an jenes verfütternd, gewartet, was übrigbleibt: Tier oder Text. Natürlich blieb immer das Tier übrig. Einige entschwanden zu schnell ihrer eigenen Option, so dass ich mich mit ungefähren Rekonstruktionen meines Eindrucks aus dem Gedächtnis begnügen musste. Manche hingegen waren überdeutlich. Ich wollte in keinem Fall, dass die "Schere zwischen Innen und Aussen" verstummt. Es handelt sich bei jeder beschriebenen Art um die Reste eines Traums, den ich von den betreffenden Dichtern hatte. Verschiedentlich sind mir dieselben in späteren Träumen als völlig andere Wesen erschienen. Leider kann ich mich nicht auf meine Träume verlassen, und darum habe ich selbstverständlich nach dem Wachwerden auf die verfügbaren Texte der deskribierten Skribenten zurückgegriffen. 

Aus dem Vorwort

Optische Pointe mit zehnfachem Wiedererkennungswert

Als eines der ersten Bücher im Druckhaus Galrev erschien 1991 von Andreas Koziol das Bestiarium Literaricum mit zehn Postkartenübermalungen von C.M.P. Schleime. Darin werden ca. 70 AutorInnen aus dem lyrischen Deutschraum der 80er Jahre nach dem Vorbild von Franz Blei im skizzenhaften Tiervergleich porträtiert. Humor und Satire haben sicher bei der Vorstellung eines Erv ebensowenig die skurille Hauptrolle gespielt wie bei einem Serval oder Kernbeißer. Das Verlagsprogrammheft von damals nennt es „DIE KLASSISCHE, ÜBERRASCHENDE SICHT, DIE NEUES ÜBER ALTE BEKANNTE (DER LITERATUR) BIETET.“ und zitiert aus dem Vorwort (das dann im Buch wiederum ganz anderes verlautet):

„Im Tiervergleich, einem der ältesten Tricks der Menschheit und zur Zeit vielleicht einzig unschuldigen Utopie, verliert der Schreiber nichts als die Analogie mit dem Gott oder dem Teufel, der ihm übrigbleibt, wenn sein Weg zu den Anfängen von zu vielen geschichtlichen Deutungen unterminiert ist. Die herkömmliche Literaturwissenschaft lässt den Schreiber eher links liegen, als auf den Knalleffekt ihrer Zuweisungen zu verzichten – ein Verfahren, dessen eigentliche Sprachlosigkeit nur noch von seiner Rechthaberei übertroffen wird.
Unser BESTIARIUM LITERARICUM ist hierzu alternativ gemeint. Auch siebzig Jahre nach Franz Blei scheint es uns keine vernünftigere Art zu geben, ,etwas Wesentliches‘ über das Verhältnis der Schreiber zu den Dingen zu beschreiben. Die Poesie hat den Stand der Wissenschaft allenfalls bis zur Erfindung des Lügendetektors mit ihren Impulsen in Einklang zu bringen gewusst und heute anscheinend einen Punkt erreicht, wo es egal ist, zu fragen, ob sie ihrer Zukunft voraus – oder ihrer Vergangenheit hinterherhinkt.
Den Punkt suchend, wo ,Das Tier aus dem Text fällt‘, habe ich, diesen an jenes verfütternd, gewartet, was übrigbleibt: Tier oder Text. Natürlich blieb immer das Tier übrig. Einige entschwanden zu schnell ihrer Option, so dass ich mich mit ungefähren Rekonstruktionen meines Eindrucks aus dem Gedächtnis begnügen musste. Manche hingegen waren überdeutlich. Ich wollte in keinem Fall, dass die ,Schere zwischen Innen und Aussen‘ verstummt. Es handelt sich bei jeder beschriebenen Art um die Reste eines Traums, den ich von den betreffenden Dichtern hatte. Verschiedentlich sind mir dieselben in späteren Träumen als völlig andere Wesen erschienen. Leider kann ich mich nicht auf meine Träume verlassen, und darum habe ich selbstverständlich nach dem Wachwerden auf die verfügbaren Texte der deskribierten Skribenten zurückgegriffen.“

Eberhard Häfner: Syndrom D

KONSPIRATION III

bist du ein opfer des listigen verstandes
oder verstand er grenzlandschaft so
unter den linden der gestrige
zurückgefunden

ließ einen damm errichten
gegen die flut skepsis
schmelzwasser zu bannen
mit preußischem elan
kannst du dir alles erwandern

wenn das obstlaub brennt
auf der oder
der nebel vor dem damm
staatlicher katen und stattlichen müll
chronischer raucherkatarrh
als kohlezeichnung an meiner innenwand

so lange er & ich regiert
reitet fritz friedlich
aus bronce geliebter herr
bleibe ich dein fußgänger
in der geschichte
selber ein wenig konfus

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